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  • AutorenbildFrollein Schreibfeder

Widerstand im November

Und das Jahr Schritt voran. Und es wandelte sich von heiß zu warm zu windig zu heiß zu kalt. Und plötzlich war der Herbst gekommen und hatte alle Erinnerungen an dünne Trägershirts und Planschbeckengeräusche verjagt. Übrig geblieben war nur das Rascheln von Blättern, das Rauschen des Windes und das enger ziehen des Schals. Autos verursachten plötzlich ein plätscherndes Geräusch, wenn sie vorbei fuhren und der Himmel nahm ein schleierhaftes Grau an, welches gleichmütig und ignorant nicht mal einzelne Wolken erkennen lassen wollte. Halloween machte die Wand erst dünn, dann wieder dick und spaltete die Menschen wie jedes Jahr in zwei Lager. Ich blieb in meinem und genss so viel orange und schwarz, wie ich nur konnte. Jetzt ist es Mitte November, ich bin mitten drin, in meiner liebsten Jahreszeit, und heute feiern wir Sankt Martin. Die Laternen stehen bereit, der Glühwein ebenso, das Feuer ist vorbereitet. Ich freue mich aufs Knistern, Anstoßen und große Kinderaugen, in denen sich flackerndes Licht spiegelt.

Doch nebenher beschäftigen mich andere Dinge. Zum Beispiel denke ich immer wieder darüber nach, wie oft ich Widerstand leiste. Widerstand gegen Dinge, die ich nicht mag, Situationen, die ich nicht will, Sachen, die ich nicht brauche. Wie oft am Tag leistet man unwillkürlich Widerstand gegen alles Mögliche. Findet Kollegen, Autofahrer, Wetter blöd, möchte eigentlich lieber mit wem anders wo anders sein. Und wie oft am Tag ist das nicht möglich?

Ich glaube, ein Großteil des Lebens vieler Menschen besteht aus innerem Widerstand. Damit meine ich nicht den offiziellen, offensichtlichen, rebellischen Widerstand, bei dem der Versuch gestartet wird, etwas grundlegend zu ändern, bei dem um Gespräche und Versetzung gebeten wird, Mauern eingerissen oder mit Heugabeln Adelshäuser angegangen werden. Nein, ich denke an das stille und innerliche „Ich will das nicht“, das niemand sonst mit bekommt. Das leise „ich wäre jetzt gerne zuhause/im Bett/in der Karibik“. Das unbestimmte „ach wäre doch wenigstens“. Ich glaube, davon gibt es erstaunlich viel. In jedem unserer Leben. Und was sollen wir auch machen? Kündigen? Auswandern? Dem Gegenüber mal ehrlich die Meinung sagen? Bis drei zählen? Würde das was ändern? Teils ja, teils nein. Natürlich würde eine Kündigung mit anschließender Buchung eines Fluges nach Thailand einiges ins Rollen bringen. Aber die meisten von uns wollen ja gar nicht so weit gehen. Aber mit diesem Widerstand rum laufen, das wollen wir auch nicht. Das nervt. Das stresst. Und das macht krank.

Mein Vorschlag kostet nichts, ist einen Versuch wert und kann überall praktiziert werden. Lass dich mal drauf ein. Nur mal so. Lass dich mal auf etwas ein, anstatt Widerstand zu leisten. Auch auf etwas, das dich nervt, oder so nicht von dir gewählt wurde. Du kannst dich natürlich auch auf einen neuen Job, eine neue Beziehung, eine neue Wohnung einlassen. Oder auf die nervige neue Nachbarin, die du so unsympathisch findest.


Ich meine damit nicht, plötzlich alles toll zu finden. Du musst den neuen Job nicht toll finden. Oder den alten. Du musst die neue Nachbarin nicht mögen. Du sollst dir nichts einreden, was nicht so ist. Aber versuch mal, den Widerstand auf zu geben und dich darauf ein zu lassen. Einfach mit den Schultern zucken und annehmen. Einatmen, ausatmen, darauf einlassen. Tu einfach so, als fändest du es nicht schlimm. Spiel mal die Gelassene, den Gelassenen und schau, was passiert. Vielleicht nimmst du etwas Druck raus. Vielleicht entspannen sich deine Schultern. Vielleicht lächelt die unsympathische Nachbarin und wirkt mit einem Mal freundlicher. Vielleicht auch nicht. Aber einen Versuch ist es allemal wert. Denn ganz ehrlich, Widerstand bringt dir in dieser Form gar nichts. Ein Schulter zucken und ein darauf einlassen kann dir hingegen überraschende und bisher unentdeckte Türen öffnen.


Und wenn du das zu schwierig findest, geh einfach in den nächsten Wald und lausche dem Rascheln der Blätter unter deinen Schuhen, spüre die Kühle auf deiner Haut und halte nach Rehen und Eichhörnchen Ausschau. Ohne an all das zu denken, was dich so sehr nervt. Auch das, kann dir helfen, mal wieder Luft zu holen. Denn in die Natur zu gehen ist so oft die Antwort auf die Frage, die du noch gar nicht gestellt hast. Und plötzlich ist alles gar nicht mehr so anstrengend.

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