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  • AutorenbildFrollein Schreibfeder

Zeit

Woche 5 der Kontakbeschränkungen.

Ich mache mehr Yoga. Fast täglich rolle ich meine Matte aus und widme mich zumindest 10, 15 Minuten mir selbst.

Ich schlafe länger. Nicht viel, aber etwas.

Ich gehe langsamer. Denn ich habe mehr Zeit.

Ich bin geduldiger mit meiner Tochter. Kann sie eher da abholen, wo sie gerade ist, mich mehr ihrer Jetzt-Zeit widmen.

Der alltägliche Zeitdruck ist weg. Dinge, die erledigt werden müssen, haben plötzlich mehr Platz. Und ich bin erstaunt, was diese zusätzliche Zeit mit mir macht. Unser normaler Arbeitsalltag ist durchgetaktet. Vielleicht nicht so extrem, wie bei manch anderem, aber das übliche Aufstehen-Arbeiten-kitaabholen-einkaufen-kochen-zubettegehen-endlichCouch-Ritual ist natürlich da. Jeden Tag. Und jetzt, wo seit einigen Wochen alles anders ist, spüre ich zum ersten Mal, wie es ist, wenn man sich Zeit nimmt. Weil man sie eben hat.

Da ist plötzlich Raum, wo vorher keiner war. Raum um die Tätigkeiten des Alltags herum, um die kleinen Momente gewickelt, wie Geschenkband. Ich atme tief durch, setze einen Fuß vor den anderen. Warum abhetzen? Warum über die lange Schlange ärgern, an der man anstehen muss? Wieso sollte ich nicht kurz inne halten? Ich habe doch Zeit.

Aber wieso funktioniert das nicht im Alltag? Ich möchte nicht, dass mir diese Gelassenheit wieder abhanden kommt. Diese leise Achtsamkeit. Wäre es nicht schön, das Gefühl von Raum um die Dinge mit hinüber zu retten, in die „Mit-Corona-Zeit“? (Denn ein Nachher wird es nicht geben. Wir müssen lernen, mit dieser Krankheit zu leben.)

Wäre es nicht schön, wenn aus all diesem Leid, diesen Ängsten und Sorgen etwas Schönes erwächst?

Natürlich wäre es absolut großartig, wenn die Menschheit endlich aufwachen würde. Wir heilen das Klima, töten weniger Menschen und Tiere, gehen liebevoller aus dieser Krise heraus, als Konsum-Minimalisten und Alltags-Umarmer. Eine schöne Idee. Dass das zur neuen Wirklichkeit wird, davon bin ich noch nicht überzeugt.

Aber wenn wir beginnen, vor unserer eigenen Tür kurz inne zu halten, mal eben den Blick schweifen zu lassen, einmal mehr die Lieben zu drücken, wenn wir mehr Dankbarkeit in das eigene Leben integrieren können, dann ist schon viel gewonnen.

Mir fällt das oft schwer. Ich bin ein getriebener Mensch, immer unterwegs, habe immer etwas zu basteln, schreiben, stricken, aufräumen. Muss noch wen treffen, was vorbereiten, kurz wohin. Ich finde es schwierig im ganz normalen Wahnsinn diese kleinen Momente einzubauen. Und ich spüre, es ist ein Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Ich muss mich von dem Gedanken verabschieden, eines sonnigen Morgens erfrischt und als neuer Mensch aufzuwachen, der wie in diesen ganzen Instagram-Posts absolut Yoga-mäßig achtsam seinen gesamten Tag bewältigt. Ich weiß, es sind die kleinen Dinge.

10 Minuten Yoga zu machen zum Beispiel.

Länger zu schlafen. Nicht viel, aber etwas.

Etwas langsamer zu gehen. Denn ich nehme mir mehr Zeit.

Geduldiger mit meiner Tochter zu sein. Sie eher da abholen zu können, wo sie gerade ist, mich mehr ihrer Jetzt-Zeit zu widmen. Einfach mal vor der eigenen Haustür den Blick schweifen lassen.


Das passiert nicht einfach so. Das ist eine Entscheidung. Eine bewusste Entscheidung, die ich immer wieder neu treffe. Denn ich finde es toll, mehr Zeit zu haben. Ich mag den Raum, der sich wie ein Geschenkband um die Momente legt.

Und ich hoffe, ich schaffe es, mir selbst dieses Geschenk immer wieder zu machen. Denn ich weiß, dass es wertvoll ist. Ich gönn mir.

Wir werden sehen, ob ich es mit rüber retten kann. In die „Mit-Corona-Zeit.“

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