top of page
Suche
  • AutorenbildFrollein Schreibfeder

Ungeschminkt

Aktualisiert: 29. Juni 2018

Ich habe ein persönliches Experiment gewagt. Manch einem mag es albern vor kommen, einem anderen vielleicht unwichtig. Für mich ist es nach wie vor spannend.

Ich bin seit zwei Wochen ungeschminkt.

Ja, ich weiß, damit rette ich nicht unbedingt die Welt. Aber es ist für mich ein ungewohntes Gefühl, der Welt mein ungeschminktes Gesicht zu zeigen. Ich arbeite in einem Kindergarten und selbst einigen Kindern fiel auf, dass ich „irgendwie anders“ aussehe. Ich wurde ein paar mal gefragt ob ich müde sei und ein paar mal, ob ich krank bin. Nein, bin ich nicht. Ich bin ungeschminkt. Danke. Ich muss dazu sagen, dass ich nun mal blond bin und auch blonde Wimpern habe. Da wirkt es natürlich nochmal krasser, ohne Wimperntusche vor die Türe zu gehen.

Wie ich darauf kam? Naja, natürlich habe ich schon vor einiger Zeit auch meinen Badezimmerschrank aussortiert. Viel blieb nicht drin, das Meiste habe ich eh nie wirklich oder nur sehr selten benutzt. Aber mein Tagesmake-up und meine Wimperntusche waren Standard, wenn ich nur zum Bäcker gegangen bin. Jetzt stand ich wieder vor meinem Badezimmerschrank und habe mich gefragt, ob ich mein Make-up wirklich brauche. Nein, habe ich gedacht, brauchen tue ich es nicht. Mein Leben hängt jetzt nicht so sehr davon ab, ob ich mich geschminkt habe oder nicht. Aber wirklich ernsthaft in die Welt hinaus gehen, ohne sich zurecht zu machen? Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl.

Das Verrückte ist, dass ich mich, bis ich so 23 war, nie geschminkt habe. Es hat mich einfach nicht interessiert. Ich war nie das typische Kleidchen-Mädchen. Aber irgendwie fing ich dann doch damit an und bin dabei geblieben. Heute bin ich 36 und finde es völlig normal, mich anzumalen, bevor ich in den Tag starte. Irgendwie habe ich auch den Glaubenssatz, dass man ohne Malerei im Gesicht ungepflegt erscheint. Immerhin arbeite ich im Kindergarten, was sollen denn die Eltern denken? Und bei jüngeren Mädels ist das ja auch mal was anderes, ungeschminkt zu gehen...

Ich habe es trotzdem gewagt. Morgens nur Wasser und Kokosöl und los ging`s. Die ersten Tage war das schon eine kleine Überwindung. Und ich habe mich mal bewusst umgeschaut. Und fest gestellt, dass der Großteil meines Kollegiums sich auch nicht schminkt. Und viele Muttis ebenso wenig. Und auch einige meiner Freundinnen ungeschminkt gehen.

Merkwürdig. Warum mache ich da so ein Ding draus? Weil die Leute meine Falten und Schattierungen sehen? Weil ich weniger attraktiv bin ohne dunkle Wimpern und seidigen Teint? Warum ist es mir so wichtig, was andere denken?

Nein, dachte ich, es sollte mir nicht so wichtig sein, was andere von mir halten. Ich möchte mich mit mir wohl fühlen, so, wie ich bin. Also blieb ich dabei. Und doch finde ich es immer noch befremdlich, mich im Spiegel zu sehen. Es ist wie mit einer neuen Frisur. Andere gewöhnen sich schneller an deine neue Frisur, aber du selbst schaust ja nicht den ganzen Tag in den Spiegel. Sehe ich so verändert aus ohne mein Make-up?

Mein absolutes Vorbild sind hier die Buddhisten. Klar, jetzt denkt man an tibetische Mönche in orangefarbenen Roben, die von kleinauf im Kloster leben. Nein, ich meine normale Menschen wie du und ich, die sich zum Buddhismus bekennen. Ich habe da mal eine junge Frau kennen gelernt, die regelmäßig über´s Wochenende in ein buddhistisches Kloster fuhr und irgendwann mit raspelkurzen Haaren zurück kam. Wow. Definiert unsere Frisur, unser Haar, wer wir sind? Es sollte es nicht, aber mal ganz ehrlich, hier im Westen und gerade bei uns Weibchen tut es das sehr wohl. Die Vorstellung, mir die Haare ganz kurz zu schneiden, finde ich enorm gruselig. Und bewundernswert. Und mutig. Und das würde ich mich (für´s erste) gar nicht trauen.

Da ist die Tatsache, dass ich ungeschminkt durch die Welt gehe, doch ein Klacks, nicht wahr? Es ist nichts Großartiges oder Besonderes. So wichtig bin ich wirklich nicht. Aber für mich ist es ein interessantes Experiment und zeigt mir mal wieder, wie sehr ich mich eben doch über mein Äußeres definiere, wie sehr ich mir Gedanken über die Vorstellungen anderer Menschen mache.


Ich werde mein Make-up nicht weg werfen. Und meine Wimperntusche ebenso wenig. Aber ich werde jetzt zumindest mal versuchen, regelmäßig ungeschminkt zu gehen und das Schminken auf besondere Anlässe verschieben. Und wer weiß, vielleicht kommt es mir irgendwann merkwürdig vor, mich anzumalen.


Nachtrag vom 29.6.2018


Das Experiment hat mir großen Spaß gemacht und mir gezeigt, dass ich selbst wahrscheinlich mehr darauf achte, wie ich aussehe, als es anderen wirklich auffällt. Trotzdem habe ich einen Aspekt hier tatsächlich außer acht gelassen: Nämlich was mir wirklich gefällt. Ich habe Wert darauf gelegt, mich nicht nach dem Schönheitsideal anderer zu richten und bin deshalb davon aus gegangen, dass die logische Konsequenz sein muss, ungeschminkt zu gehen. In den letzten Tagen ist mir aber immer wieder auf gefallen, dass ich mich selbst einfach hübscher finde, wenn ich mir die Wimpern tusche. Und alles komplett weg zu minimalisieren, um des weg minimalisierens willen, ist auch nicht Sinn der Sache. Also habe ich beschlossen, mich so zurecht zu machen, wie ich mich hübsch finde. Das bedeutet Wimperntusche, an manchen Tagen ein Concealer und ab und an mal farbiger Labello. Ich halte dieses kleine Experiment für wertvoll und denke, es hat meine Perspektive verändert, was Schönheit angeht, was das Denken der anderen und mich selbst angeht und was meine Entscheidungsfähigkeit anbelangt. Also: Experiment geglückt.

65 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Zeit

bottom of page