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  • AutorenbildFrollein Schreibfeder

Eine dieser Frauen

Aktualisiert: 10. Nov. 2018

Als ich noch eine jüngere, naivere Frau war, als ich es heute bin, eine weltverbessernwollende Studentin, gerade Volljährig oder Anfang zwanzig mit Hang zu Edelsteinen und Mantren, beobachtete ich in meinem Alltag häufiger das Wesen älterer Frauen. Von Frauen mit Kindern. Frauen über dreißig, über vierzig. Im Alltag. Im vorbei gehen. Damals fiel mir des öfteren auf, dass Frauen, die Mutter geworden waren, sich gern die Haare kürzer schneiden ließen. Manchmal bemerkte ich auch, dass diese Frauen, ob Mutter oder nicht, lieber Turnschuhe trugen oder zumindest flache Schuhe. Nicht, dass ich jemals eins dieser High-Heels-Mädchen gewesen wäre, aber ich achtete sehr darauf, dass meine Kleidung eine bestimmte Sprache sprach, ein Gesamtbild ergab. Dass meine Sachen zusammen passten, oder eben bewusst auch nicht.

Diese Frauen, die ich meine, schienen aber keinen bestimmten Stil zu haben. Sie waren weder Gothic, noch schicki-micki, weder HipHop noch Hippie, weder Streber noch Supersporti. Sie trugen bequeme Wanderhosen zu Turnschuhen, normale T-Shirts, nicht diese engen Tops. Diese Frauen waren auch oft ungeschminkt, unfrisiert. Trugen Rucksack statt Handtasche. Gingen entspannt über die Straße, durch das Einkaufszentrum, als ginge sie der ganze Mode-hipe überhaupt nichts an.

Und ich dachte damals so bei mir, dass ich mich selbst nicht so gehen lassen werde, wenn ich mal Mutter, wenn ich „erwachsen“ sein werde, was auch immer das bedeutet. Ich fragte mich, ob diese Frauen sich selbst nicht reflektierten, sich nicht bewusst darüber waren, dass sie so, mit ihrem Stil, nicht mehr für 22 gehalten werden konnten. Ich fragte mich wirklich, ob sie es nicht besser wussten oder ob es ihnen einfach egal sei, was andere über sie denken.

Nie wäre mir naivem, unerfahrenem Ding aufgegangen, dass es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung handeln könnte. Dass diese Frauen vielleicht einfach über den Punkt hinaus waren, für 22 gehalten werden zu wollen. Dass diese Frauen sich bewusst für die Bequemlichkeit entschieden haben. Ich verstand damals nicht, dass Frauen ab einem gewissen (Alter) Bewusstseinsgrad / Erfahrungswert eher dazu neigen, sich selbst bewusster wahr zu nehmen, selbst bewusster zu sein. Dass ich mich selbst so sehr über meine Kleidung, mein Haar, meinen Stil definierte, das ahnte ich, war aber noch nicht in der Lage darüber hinweg zu kommen.

Heute bin ich eine dieser Frauen, die ich damals beobachtete. Ich gehe ungeschminkt vor die Türe, trage Quadratlatschen, weil sie ungemein bequem sind, vertrete kaum noch Klischees (zumindest kleidungsmäßig ;-)) und wenn doch, dann bewusst.

Und heute weiß ich, dass es mit Stärke zu tun hat, zu sich selbst zu stehen. Dass es hierbei um Selbstbewusstsein geht, um Reflexion und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich. Wer bin ich, wenn ich keine auffällige Kleidung mehr trage, wenn ich mir nicht mehr die Haare färbe, mich nicht mehr schminke? Ändert es etwas an mir, wenn ich die Eigendefinition über das Äußere zum größten Teil los lasse? Kann ich mich wohl fühlen, ohne mich anmalen, mich verkleiden zu müssen? Kann ich aufhören, die zu sein, die die Gesellschaft in mir sehen will?

Heute ist es mir mehr und mehr gleichgültig, was junge Hühner oder überhaupt wer von mir denken mag. Ich weiß, wer ich bin und dass ich nichts brauche, um zu beweisen, wer ich bin. Ich bin über diese Denkweise meistens hinaus.

Das Mädchen, das ich damals war konnte das nicht verstehen. Sie sah nur die Oberfläche, konnte nicht hinter die Fassade blicken. Ich sah nicht den Stolz, die Weiblichkeit, das Selbstbewusstsein dieser Frauen, vielleicht auch ihren Stress, ihre verschobenen Prioritäten, ihr gewachsenes Wesen sah ich nicht.

Ich finde es überhaupt nicht verwerflich, sich zu schminken oder einem bestimmtem Stil treu zu bleiben. Jede Frau sollte sich mit sich selbst wohl fühlen und was sie dafür braucht, ist eine sehr persönliche und individuelle Sache. Man kann auch gar nicht keinen Stil haben.

Mir ist nur aufgefallen, dass ich heute einen anderen Blickwinkel auf das habe, was wir Frauen nach außen tragen. Und wenn ich heute eine Frau sehe, die mit Turnschuhen, ungeschminkt mit dem Rucksack auf dem Rücken unterwegs ist, applaudiere ich ihr innerlich. Denn ich weiß, sie hat sich über althergebrachte Konventionen hinweg gesetzt und nimmt es nicht mehr für wichtig, was andere denken. Sie hat ihre eigene Bequemlichkeit, das Gefühl, sich so gut zu fühlen, wie sie ist, vorn an gestellt. Und das hat überhaupt nichts damit zu tun, sich gehen zu lassen.


Das hat damit zu tun, das Wissen erlangt zu haben, dass die eigene Quintessenz völlig unabhängig von äußerem Auftreten existiert. Und das ist gut so.

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